Die Watzmann-Überschreitung zählt neben der Zugspitzbesteigung via Höllentalklamm zu den grossen deutschen Bergwanderabenteuern. Wir geben euch Tipps auf was es ankommt, wenn ihr die Tour geniessen wollt.
Wir haben unsere Zelte im Campingplatz Grafenlehen aufgeschlagen, deswegen starten wir von dort. Die normale Rundtour beginnt an der Wimbachbrücke. Dort ist ein grosser Parkplatz, der aber in der Hauptsaison auch gerne mal voll wird – vor allem, wenn man die Tour auf zwei Tage verteilt, denn dann läuft man nicht schon am frühen Morgen los zum Watzmannhaus. Alternativ parkt man am Parkplatz Hammerstiel.
Wir kommen jedoch vom Königssee und nehmen den Weg über die Kühroint-Alm. Man benötigt etwa fünf Stunden zum Watzmannhaus, ob von der Wimbachbrücke oder von Königssee aus spielt keine Rolle. Läuft man über die Kühroint-Alm hat man dann aber die Wahl, ob man die etwas längere Variante via normalem Wanderweg nimmt oder die etwas kürzere, aber sportlichere Variante via Falzsteig.
Zum Eingewöhnen an die morgige Kletterei entscheiden wir uns für den Falzsteig. Dieser geht Höhe haltend bis unter die Ausläufer des Watzmanngrats und dann recht steil, mit Drahtseilen gesichert, hoch zum Watzmannhaus. Wer sich hier unsicher fühlt, sollte die Überschreitung nicht machen.
Nach 1300 Höhenmeter erreichen wir das Watzmannhaus. Da ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln angereist bin und zur Zeit die Aktion freie Nacht für’s Klima läuft, schlafe ich kostenlos. Das Radler zur Belohnung muss aber natürlich bezahlt werden. Ebenso wie das leckere Abendessen á la Carte. Wir finden gerade so einen Platz an einem Tisch mit einer Gruppe, die auch die Überschreitung geplant haben. Da das Wetter noch Fragen offen lässt (1 Wetterbericht von 4 sagt mit 20% Wahrscheinlichkeit Gewitter um 12 Uhr vorraus), kommen wir überein, dass wir das Frühstück auslassen und lieber früh losgehen.
Wir starten um 5 Uhr nach Sonnenaufgang. Geplant ist am Hocheck zu Frühstücken und danach zu entscheiden, ob ein Weitergehen sinnvoll ist. Es liegen also 700 Höhenmeter vor uns. Wer Spass an der Überschreitung haben möchte, sollte in zwei Stunden am Hocheck sein.
Der Weg schlängelt sich erst in Serpentinen immer weiter nach oben bis man anfangen muss, die recht gut verteilten Markierungen auf den Felsen zu folgen, denn ein Pfad ist dann meistens nicht mehr zu erkennen. Man kraxelt, selten Drahtseilversichert, aber auch nie richtig ausgesetzt, zum ersten Gipfel des Tages.
Am Hocheck-Biwak angekommen – pünktlich um sieben Uhr – gibt es erstmal ausgiebig Frühstück. Leider sind die gekauften Fresspakete vom Watzmannhaus nicht so der Renner: ein Apfel und zwei belegte Brote entweder mit Käse oder Schinken. Ein Glück haben wir viele Alternativen dabei, so dass jeder etwas findet. Denn Energie ist wichtig, davon benötigen wir noch jede Menge heute.
Die dunklen Gewitterwolken haben sich verzogen, geblieben ist nur ein kräftiger Wind. Wir entscheiden uns, die ersten Meter zu probieren und spätestens an der Mittelspitze die Situation neu einzuschätzen.
Glücklicherweise lässt der Wind schnell etwas nach, so dass die Gratüberschreitung besser gelingen kann. Los geht es mit ein klein wenig ausgesetzter Kraxelei, wie sie typisch ist für die Watzmann-Überschreitung. Wir haben uns für ein Klettersteigset entschieden, da dies die sichere Wahl ist. Zwar ist es an nur einer handvoll Stellen notwendig, aber dort zahlt es sich aus!
Wir alle haben schon mehrere Klettersteige gemacht, sind konditionell einigermassen in Form, wir sind früh los und das Wetter ist nicht zu schön. In Summe sind das optimale Bedingungen: niemand ist sichtbar vor uns und wir kommen sehr gut voran. Wir benötigen etwas mehr als eine halbe Stunde bis zur Mittelspitze. Generalprobe erfolgreich.
Der Wind hat weiter abgenommen, die Wolken sehen noch gut aus und die Zeit ist spitze. Mittlerweile ist es 8:45 Uhr. Wir rechnen mit 2 weiteren Stunden bis zur Südspitze, das ergibt eine Stunde für den Abstieg, falls dann wirklich ein Gewitter aufziehen sollte. Wir wäre dann schon weit entfernt vom Grat. Momentan sieht es aber so aus, als hätten die restlichen 3 Wettervorhersagen Recht: leichte Wetterbesserung mit fortschreitendem Tag.
Die Schwierigkeiten bleiben fortwährend mehr oder weniger gleich. Nach und nach gewöhnt man sich an die ausgesetzten Stellen, so dass man immer schneller voran kommt. Leider bleiben bei uns die Wolken auch immer gleich: keinen einzigen Tiefblick zum Königssee gönnen sie uns.
Erstaunlicherweise gibt es bei der Überquerung kaum abgetretene Stellen. Der Fels ist meistens griffig und sogar die schottrigen Wegstücke halten sich in Grenzen. Das macht richtig Spass!
Wer seine Finger schonen möchte, sollte zu Klettersteighandschuhe greifen. Entweder langt man mit der Hand an ein Drahtseil oder an den Fels. Oft gibt es auch Passagen zum Laufen, aber am Ende des Tages sind sensible Bürohände doch arg malträtiert.
Die allgemeine Laufrichtung ist vom Watzmannhaus zur Südspitze. Uns kommt nur ein einzelner Trailrunner entgegegen, der schon das Wimbachgriess, den Aufstieg zur Südspitze und Teile der Überschreitung in seinen Beinen hat. Wir realisieren: das haben wir noch vor uns! Der Weg zur Südspitze ist gerade mal die Hälfte.
Nach dem Umlaufen der Messstation auf der Spitze vor der Südspitze folgt die am meisten ausgesetzte Stelle der Tour. Zuerst geht es einen Bergrücken hinauf, der immer schmaler wird. Oben sind Drahtseile verlegt, in die man sich sichern kann.
Der Grat wird so schmal, dass nur die verwegensten Berggänger aufrecht stehen können. Alle Normalsterblichen nehmen die Reiterposition und suchen sich gute Fußtritte. Auf beiden Seiten geht es locker 1000 Meter nach unten – hier zahlt sich das mitgeschleppte Klettersteigset auf jeden Fall aus!
Nachdem die letzte Schwierigkeit der Überschreitung überwunden wurde, steht der Besteigung der Südspitze nichts mehr entgegen. Um 10 Uhr, mit dickem Gewitter-Puffer treffen wir oben ein. Es folgt eine zweite Frühstückspause, um Energie für den Abstieg zu tanken.
Die Tour ist nun erst halb geschafft. Je nach Kondition vielleicht auch nur zu einem Drittel. Denn wenn der Saft jetzt schon ausgeht, zieht sich der Abstieg und Rückweg ewig in die Länge. Die Schwierigkeit lässt generell etwas nach, eine Hand muss man aber immer mal wieder zu Hilfe nehmen.
Den Abstieg kann man grob in drei Stufen aufteilen. Im ersten Teil befindet man sich noch in felsigem Gelände. Der Gipfel ist noch nicht weit entfernt, die technischen Schwierigkeiten sind immer noch hoch.
Das Erreichen der ersten Stufe kennzeichnet das Ende des ersten Abstiegsdrittels. Wir sind nun etwa 400 Höhenmeter abgestiegen. Die Felsen werden weniger, der Schotter nimmt Überhand. Geübte Berggänger können, wenn unterhalb kein anderer Wanderer unterwegs ist, durch die Schotterfelder absteigen und so einiges an Zeit sparen. Wanderstöcke sind hier für die Balance hilfreich.
Am Ende der zweiten Stufe gibt es eine Quelle. Eindeutig gekennzeichnet. Bestimmt wurden hier schon einige trockene Kehlen wieder geschmiert. Denn bis zur Wimbachgriesshütte ist es immer noch ein weiter Weg. Zwei Drittel des Abstiegs haben wir nun hinter uns.
Die Vegetation wird nun immer grüner, die Schwierigkeiten wollen aber nicht verschwinden. Etliche Kreuze am Wegesrand verraten dies. Eine kleine Unachtsamkeit genügt immer noch, um den Fehltritt seines Lebens zu machen. Man muss so viel Kondition haben, dass man bis zuletzt konzentriert bleibt.
Irgendwann kommt sie dann: die letzte Hürde. Eine lange Eisenkette, die den Abstieg in einem Landeinschnitt erleichtert. Ist man die zweite Kette runtergekommen, so hat man alle Schwierigkeiten überwunden.
Nun folgen „nur“ noch 900 Höhenmeter Abstieg und 7 Kilometer Strecke. Wir essen erst mal einen Spinatknödel auf der Wimbachgriesshütte zur Stärkung bevor wir die in Angriff nehmen.
Es besteht auch die Möglichkeit, dass man sich die Übernachtung auf dem Watzmannhaus spart und stattdessen in der Wimbachgriesshütte übernachtet. Spontan geht das allerdings nicht: man sollte auch hier vorreservieren.
Vom Watzmannhaus zum Hocheck (2h) über die Südspitze (5.5h) und Wimbachgries (8h) zur Wimbachbrücke rechnet man 10 Stunden reine Gehzeit. Ist man noch nie annähernd so lange in den Bergen unterwegs gewesen, sollte man erst mit kleineren Touren üben.
Wer keine Berge in der Nähe hat, kann zur Vorbereitung z.B. auch regelmäßig Joggen gehen. Bei 20km unter 2:20h kommt man gut zurecht.
Wer sich kraftsparend in den Bergen fortbewegen kann, spart viel Zeit. Kleine Schritte, vorwärts abklettern und gutes Handling des Klettersteigsets sind perfekte Grundlagen. Ein paar Klettersteige und – noch viel hilfreicher – schwere (alpine) Wanderungen (Schwierigkeit T4 aufwärts) oder Hochtouren zum Training machen viel aus.
Wer einen B-Klettersteig souverän beherrscht und sich auf schweren Wanderungen mit etlichen ausgesetzten Stellen wohl fühlt, kann die Tour in einer privaten Gruppe machen. Alleine sollte man – wie immer in den Bergen – nicht unterwegs sein. Wer die Kondition hat, jedoch technisch unsicher, ist mit einem Bergführer gut beraten.